Alles, was Recht ist! Oder wie Recht verständlich(er) wird.

Die Transparenz juristischer Texte ist nicht nur eine Frage
der Verständlichkeit, sondern auch eine der Gerechtigkeit
.
Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek

Stellen Sie sich vor, Sie lesen Ihren Dienstvertrag, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Ihrer Bank oder einen Bescheid und Sie verstehen jedes Wort. Und mehr noch, Sie empfinden dabei Lesefreude. Utopie? Ich fürchte, die Lesefreude bei Texten mit rechtlichen Inhalten bleibt öfters auf der Strecke. Aber sie verstehen, sollte möglich sein.

Schon im 18. Jahrhundert nahmen Maria Theresia und Friedrich der Große unverständliche Verwaltungstexte ins Visier. Maria Theresia machte sogar einen Lösungsversuch: Sie setzte mäßig gebildete Menschen zum Verständlichkeits-Check von Rechtstexten ein. „Buta Ember“ waren durchschnittlich intelligente Menschen mit einfacher Schulbildung. Sie mussten Verwaltungstexte lesen und den Inhalt wiedergeben. Gelang das nicht, wurden die Texte überarbeitet.

Heute gibt es in der Schweiz gleich 2 Redaktionen, die Gesetzestexte auf Verständlichkeit prüfen: die Verwaltungsinterne Redaktionskommission und die Redaktionskommission des Parlaments. In Deutschland berät das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache – nur in Österreich gibt es nichts dergleichen. Allerdings viel Literatur und auch Appelle wie etwa des Verfassungsgerichtshofs in seinem Bericht 2004,15.

Zuletzt hat das neue Barrierefreiheitsgesetz wieder Schwung in die Debatte gebracht. Denn nicht nur viele Produkte und Dienstleistungen müssen in Zukunft barrierefrei nutzbar sein, sondern auch die Texte in diesem Zusammenhang.

Dennoch: Der Traum vom verständlichen Rechtstext ist noch nicht in Erfüllung gegangen. Lange, verschachtelte Sätze, Substantivitis, Abstraktheit, Passivstil und Fachbegriffe sind allgegenwärtig. Und die Sprachbarrieren zwischen Institutionen und Einzelnen scheinen einzementiert: Die einen schreiben und geben vor. Die anderen müssen lesen und danach handeln. Ein Spiegelbild  herrschender Machtverhältnisse?

Kapitel:

Warum juristische Texte oft schwer verständlich sind. Was steckt dahinter?

Der Unterschied zwischen dem richtigen und einem beinahe richtigen Wort ist derselbe wie der zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen.
Mark Twain

Ein Dilemma: Einerseits müssen juristische Texte rechtssicher sein. Historisch gewachsen ist daher ein besonderer Texttypus mit juristischen Schreibstandards wie etwa speziellen Fachtermini. Dadurch soll auf ökonomische Weise Klarheit geschaffen werden. Andererseits sollen Leser:innen diese Texte verstehen. Wie sonst könnten sie sich etwa an Vertragsbestimmungen oder Gesetze halten? Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Es gibt zahlreiche Versuche dieses Dilemma aufzulösen. Sowohl von der Gesetzgebung als auch von der Verständlichkeitsforschung – doch mit mäßigem Erfolg:

1990 ließ der Verfassungsgerichtshof mit seiner Denksport-Entscheidung aufhorchen: Eine Norm ist nicht verständlich, wenn sie „nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksportaufgaben überhaupt verstanden werden kann.” (VfSlg 12.420 / 1990)

1993 folgten auf EU-Ebene die Vertragsklausel-Richtline (RL 93/13/EWG) und in Österreich das Transparenzgebot im Konsumentenschutzgesetz – oft als der Meilenstein hochgelobt: „Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung ist unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist.“ (§ 6 KSchG).

Verständlichkeit ist also Pflicht. Nur, was bedeutet Verständlichkeit von Texten? Was sind die Kriterien, woran Verständlichkeit gemessen und überprüft werden kann? Ist das Transparenzgebot nicht selbst intransparent formuliert? Und wird es überhaupt umgesetzt?

Lesbarkeitskriterien

Eine Möglichkeit ist, an der Lesbarkeit von Texten anzusetzen. Sie kann anhand von speziellen Kriterien gemessen werden. Der bekannteste Lesbarkeitsindex ist die Reading-Ease-Formel von Robert Flesch mit der Skala 0 für unlesbar und 100 leicht lesbar. Die Kriterien für die Lesbarkeit sind Satz- und Wortlängen – also leicht quantifizierbare Kriterien.

Andere Lesbarkeitsformeln wie beim Language Level Evaluator nehmen das Sprachniveau der Wörter, die Grammatik und die Wörter pro Satz auf. Damit wird ermittelt, für welche Sprachlevel bestimmte Texte geeignet sind. Das ist zwar im Zusammenhang mit dem Barrierefreiheitsgesetz interessant – aber nicht wirklich der Weisheit letzter Schluss. Denn die Kriterien für Lesbarkeit sagen meist wenig über die Verständlichkeit aus.

Ein Text kann lesbar und dennoch schwer verständlich sein. Oder umgekehrt: verständlich, aber nach dem Flesch-Index nur mittelmäßig lesbar.

Zum Beispiel der folgende Text:

Gemäß § 299 Abs. 2 BAO ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Infolge Aufhebung des Bescheides war die gegenständliche Bescheiderlassung erforderlich.

Die beiden Sätze sind kurz, enthalten kaum Fachbegriffe und sind nach dem Flesch-Index noch recht gut lesbar. Für die meisten Menschen allerdings unverständlich.

Lesbarkeitskriterien_Fleschindex_36

Wir haben den Text überarbeitet und verständlich gemacht:

Sie erhalten einen neuen Bescheid, weil Ihr bisheriger aufgehoben wurde (§ 299 Abs. 2 Bundesabgabenordnung).

Interessanterweise ist er aber trotzdem nach dem Flesch-Index nur mittelmäßig lesbar.

Fleschindex_Lesbarkeit_56

Lesbarkeit und Verständlichkeit sind also 2 Paar Schuhe. Damit ein Text verständlich wird, braucht es mehr als messbare Kriterien wie kurze Sätze und Wörter oder richtige Grammatik.

Auch die Zielgruppe ist wichtig. Wie müssen AGBs für einen „Durchschnittskunden“ formuliert sein, damit er sie versteht? Oder wie ein Dienstvertrag für eine Juristin?

Verständlichkeitskriterien

Textverständlichkeit hängt also nicht allein von objektiven Texteigenschaften ab, sondern es kommt auch auf die subjektiven Eigenschaften der Lesenden an. Die Frage ist also: Wie muss ein Text formuliert sein, damit ihn eine möglichst große Anzahl von Lesenden versteht?

Dazu entwickelten die Psychologen Inghard Langer, Friedemann Schulz von Thun und Reinhard Tausch schon Anfang der 1970er Jahre das Hamburger Verständlichkeitsmodell. Demnach kann die Verständlichkeit anhand von 4 Textmerkmalen gemessen werden: Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz und Anregende Zusätze. Für jedes Kriterium gibt es eine Skala mit 5 Abstufungen.

Verständlichkeit
einfach
++
+
O
kompliziert

Das Modell wurde zwar in einigen Punkten kritisiert – etwa, dass die Merkmale nicht trennscharf sind, dass es keine Handlungsanleitungen gibt oder dass die visuelle Gestaltung von Texten nicht berücksichtigt wird. Allerdings besticht das Modell durch seine Praxistauglichkeit. Es ist einfach und leicht anwendbar.

Ein anderes Modell ist der Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Er verwendet verschiedene Lesbarkeitsformeln und zusätzlich Verständlichkeitskriterien wie Fremdwörter oder abstrakte Hauptwörter.

Wir von wortwelt® orientieren uns am Hamburger Verständlichkeitsmodell – allerdings ergänzt mit konkreten Umsetzungsvorschlägen. Und die gute Nachricht: Unsere Verständlichkeitskriterien sind auch bei Texten mit rechtlichen Inhalten gut einsetzbar.

Wie können Sie Texte mit rechtlichen Inhalten verständlicher machen?

Schreiben ist leicht.
Man muss nur die falschen Wörter weglassen.
Mark Twain

Natürlich kommt es immer auf die Textsorte und das Ziel des Textes an. Eine Antwort auf eine Kundenanfrage werden Sie anders formulieren als Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder einen Versicherungsvertrag. Allerdings gelten für alle Texte sehr ähnliche Grundsätze, um sie einfacher, verständlicher und sympathischer zu machen. Hier ein paar Beispiele:

Von Wörtern und Unwörtern

Beginnen wir mit Wörtern: Es gibt juristische Fachbegriffe, die präzise einen bestimmten Inhalt ausdrücken. Etwa Präjudiz, Sicherungsübereignung oder Zession. „Übersetzen“ Sie diese nicht: Fachbegriffe bleiben Fachbegriffe – aber erklären Sie sie etwa in einer Fußnote oder einem Glossar.

Daneben hat sich aber eine Vielzahlt von „Unwörtern“ eingeschlichen. Etwa Begriffe, die aus Gesetzestexten übernommen wurden oder einfach der Lust am Verkomplizieren geschuldet sind. Hier ein paar Gustostückerln samt Alternativen:

Vorher Nachher
aktenkundig
dokumentiert
anberaumen
festlegen
Baulichkeit
Gebäude
Benachrichtigung
Nachricht
Beurkundung
Dokumentation
dessenungeachtet
trotzdem
Entgelt
Bezahlung, Gehalt, Lohn
Inaugenscheinnahme
Prüfung
Parteiengehör
Anhörung
Rückantwort
Antwort
Verehelichung
Heirat
Versicherungsnehmer
Kunde
Vorsatz
Absicht
Zuwiderhandlung
Verstoß
Von Sätzen und Satzmonstern

Die gute alte Ordnung von Subjekt – Prädikat – Objekt findet sich recht selten in Texten mit rechtlichen Inhalten. Vielmehr sind die Sätze mit Satzvorreitern, verschachtelten Nebensätzen und Partizipien bis zur Unkenntlichkeit aufgebläht. Und als Draufgabe sind Subjekt und Prädikat oder Verbteile weit voneinander getrennt.

Leser:innen müssen diese Satzmonster erst mühsam im Kopf in Einzelteile zerlegen, um den Inhalt verstehen zu können. Doch wer soll sich plagen? Die Schreibenden oder die Lesenden? Ich sage: die Schreibenden.

Aus einem Behördenbrief

Mit Mitteilung vom 23.02.2017, GZ A2 GB 352/1985, wurde dem Bescheidadressaten in Wahrung des Parteiengehörs und unter Anführung der wesentlichen rechtlichen Grundlagen – zu diesen darf auf die noch folgenden Ausführungen verwiesen werden – bekanntgegeben, dass aus Sicht des Standesamtes Graz die Änderung des Familiennamens von Freiherr von XXX in XXX geboten erscheint und beabsichtigt ist, diese Änderung von Amts wegen durchzuführen.

Wie wird dieser Satz verständlicher?

  • Pressen Sie nicht alle Gedanken in einen Satz. Die Faustregel: 1 Gedanke = 1 Satz
  • Formulieren Sie aktiv, damit entfällt hier die Verbklammer „wurde … bekanntgegeben“ mit 23 Wörtern
  • Beachten Sie die Daumenregel: max. 20 Wörter in einem Satz
  • Vermeiden Sie Einschübe und verzichten Sie auf Unwichtiges für Leser:innen
  • Checken Sie, ob Fachtermini nicht auch durch Alltagssprache ersetzt werden können

Eine Alternative

Am 27. Februar 2017 informierten wir XXX schriftlich, dass wir seinen Familiennahmen von XXX auf XXX von Amts wegen ändern werden. In einem persönlichen Gespräch am XXX haben wir XXX auf die wesentlichen Rechtsgrundlagen hingewiesen.

Es geht bei Texten mit rechtlichen Inhalten nicht nur um Verständlichkeit, indem Sie Sätze entwirren und Zusammengehöriges zusammenfügen. Mit einer Frage können Sie beispielsweise lange Sätze verkürzen und zusätzlich mehr Neugier erzeugen.

Aus einem Kundenbrief

Sollte eine unfallkausale Funktionsminderung bestehen, bitten wir Sie innerhalb von 18 Monaten ab Unfalltag (= Präklusionsfrist), um Übermittlung eines aktuellen ärztlichen Befundberichtes, aus dem Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit dauernden Invalidität hervorgeht.

Wie wird dieser Satz ansprechender?

  • Beginnen Sie mit einer Frage statt „Sollte …. bestehen“ – damit können Sie Sätze verkürzen und sie sind sympathischer
  • Machen Sie aus einem Hauptsatz mit Nebensätzen mehrere Hauptsätze
  • Ersetzen Sie Fachtermini wie „unfallkausale Funktionsminderung“ wenn möglich durch Alltagssprache
  • Specken Sie aufgeblähte Redewendungen wie „Art und Umfang“ oder „Befundbericht“ ab

Eine Alternative

Sind Sie körperlich durch den Unfall beeinträchtigt? Dann schicken Sie uns bitte innerhalb von 18 Monaten ab dem Unfall einen aktuellen ärztlichen Befund. Daraus sollte hervorgehen, wie Sie gesundheitlich geschädigt sind und ob Sie möglicherweise dauerhaft körperlich beeinträchtigt bleiben.

 
Von Wichtigem und Unwichtigem

Eyetracking-Studien zeigen: Unsere Augen bleiben am Beginn von Texten und Sätzen im wahrsten Sinne des Wortes hängen. Steht Unwichtiges am Anfang, lesen wir nicht weiter. In unserer schnelllebigen Zeit wollen wir schnell wissen, worum es geht.

Aus einem Bescheid

Bezüglich der Kosten für den schulärztlichen Dienst wird darauf hingewiesen, dass diese, obwohl die Beträge nicht in der Gruppe 2 aufscheinen, sondern im Voranschlag der Landeshauptstadt XXX in verschiedenen Abschnitten dotiert sind, ausschließlich dem ordentlichen Schulsachaufwand gemäß § XXX zugeordnet sind.

 Wie wird dieser Satz klarer?

  • Schreiben Sie die Hauptmessage am Satzanfang, möglichst als kurzen Satz
  • Schreiben Sie Allgemeines vor den Details und lassen Sie unwichtige Details weg
  • Setzen Sie Paragrafen und Verweise in Klammer am Satzende
  • Streichen Sie unnötige Satzvorreiter wie wird darauf hingewiesen
  • Reißen Sie Subjekt und Prädiktat nicht zu weit auseinander
  • Haben Sie die Satzlänge im Auge: max. 20 Wörter

Eine Alternative

Kosten für den schulärztlichen Dienst zählen zum ordentlichen Schulsachaufwand (§ XXX). Das gilt auch dann, wenn die Beträge nicht in der Gruppe 2, sondern in unserem Voranschlag in verschiedenen Abschnitten aufscheinen.

 
Von Verben und Substantiven

Ein Charakteristikum von Juristensprache sind Hauptwörter. Und zwar vor allem hauptwörtlich gebrauchte Zeit- und Eigenschaftswörter. Warum? Es ist der Versuch, möglichst alle Informationen in einen Satz zu pressen. Allerdings werden Sätze dadurch überlang – 50 Wörter und mehr sind keine Seltenheit. Substantivierungen verkürzen Sätze zwar, jedoch auf Kosten der Verständlichkeit.

Aus einem Versicherungsbrief

Die Ablöse beläuft sich unter Berücksichtigung eines reduzierten Werkstattstundensatzes von EUR XX mangels Notwendigkeit der Vorlage einer Reparaturrechnung bzw. Reparatur in Eigenregie sowie bei Berechnung der Mehrwertsteuer lediglich auf die zu beschaffenen Ersatzteile auf EUR XX.

Wie wird dieser Satz verständlicher?

  • Pressen Sie nicht alle Inhalte in einen Satz und vermeiden Sie Substantivierungen
  • Verwenden Sie das persönliche „Wir“ – das zeigt, dass hier Menschen am Werk sind
  • Schreiben Sie die Hauptmessage an den Anfang – die Begründung danach
  • Verwenden Sie Einwort- oder Zweitwort-Sätze mit Doppelpunkt als Hingucker
  • Vermeiden Sie Blähstil wie „beläuft sich auf

Eine Alternative

Die Ablöse beträgt XX Euro. Wir haben nur den reduzierten Werkstatt-Stundensatz von XX Euro zuzüglich der Mehrwertsteuer für die Ersatzteile herangezogen. Der Grund: Es ist weder eine Reparaturrechnung noch ein Nachweis über Eigenregiekosten nötig.

 
Von Aktiva und Passiva

Die Passiv-Form ist ein weiteres Spezifikum von Texten mit rechtlichen Inhalten. Selbst wenn das Subjekt bekannt ist, verstecken sich Jurist:innen gerne in der Anonymität, um neutral zu bleiben. Vor allem bei schlechten Nachrichten. Denn die klingen dann nicht so hart.

Aus einer Broschüre

Die Abgrenzung zwischen Miete und Prekarium kann manchmal schwierig sein, wenn ein sehr geringes Entgelt vereinbart, aber die ausdrückliche Widerrufbarkeit dieser Nutzungsüberlassung nicht ausdrücklich vereinbart wurde.

Wie wird dieser Satz persönlicher?

  • Schreiben Sie aktiv statt passiv
  • Verwenden Sie die Direktansprache mit Sie
  • Reduzieren Sie die Anzahl der Nebensätze

Eine Alternative

Die Abgrenzung zwischen Miete und Prekarium ist manchmal schwierig. Etwa, wenn Sie zwar nur ein geringes Entgelt festlegen, aber nicht ausdrücklich vereinbaren, dass das Prekarium jederzeit widerrufen werden kann.


Von Augenhöhe und Überheblichkeit

In Marketingabteilungen ist es das täglich Brot. Für viele Jurist:innen noch immer ein Fremdwort: Kundenorientierung. Es ist etwas zu tun oder man hat etwas zu unterlassen – in möglichst unübersichtlicher Form. Und das nicht nur in Behördenschreiben, sondern auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Disclaimern oder dem Kleingedruckten in Werbefoldern. Welche Wohltat ist doch diese überarbeitete Rechtsmittelbelehrung.

Aus einer Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Bescheid können Sie binnen vier Wochen ab Zustellung Beschwerde an das XXX erheben. Die Beschwerde ist bei der XXX schriftlich – in jeder technisch möglichen Form – einzubringen. Die Beschwerde hat den angefochtenen Bescheid und die belangte Behörde zu bezeichnen und Angaben zur rechtzeitigen Einbringung sowie die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt und das Begehren zu enthalten.

Wie wurde sie kundenorientiert?

  • Durchgängige Direktansprache mit Sie
  • Müssen“ statt indirekte Aufforderung „ist …. zu
  • Keine unnötigen Adjektive
  • Reduktion der Substantive
  • Klar und übersichtlich durch Checklist-Form

Rechtsmittelbelehrung neu

Sie können gegen diesen Bescheid Beschwerde an das XXX erheben. Bitte beachten Sie dazu Folgendes:

Frist: Sie müssen Ihre Beschwerde  innerhalb von 4 Wochen ab Zustellung des Bescheides einbringen

Form: Die Beschwerde muss schriftlich erfolgen – entweder elektronisch oder als Brief

Adresse: Schicken Sie Ihre Beschwerde an: XXX

Was muss Ihre Beschwerde enthalten?

  • Die genaue Bezeichnung des Bescheides und der Behörde
  • Die Gründe, warum Sie den Bescheid für rechtswidrig halten
  • Einen Nachweis, dass Sie die Beschwerde rechtzeitig eingebracht haben

Von Lesefreuden und Lesehürden

Die Direktansprache schafft Lesefreude – stellt sie uns doch als Personen in den Mittelpunkt. Auch in Texten mit rechtlichen Inhalten ist dies möglich. Von Dienstverträgen, Bescheiden oder Hausordnungen gibt es zahlreiche Beispiele dafür.

Wie können Sie Leser:innen noch eine Freude machen? Etwa, wenn Sie unnötige Satzvorreiter, Klammerausdrücke oder Einschübe vermeiden. Oder Ihren Text mit rhetorischen Fragen aufpeppen.

Aus einer Ratgeberbroschüre

Für all diese Mietverhältnisse gelten auch die Definitionen des MRG (z. B. zu den Begriffen „Mietzins“, „Betriebskosten“, usw.) nicht. Daher ist zu empfehlen, nicht nur die Höhe des Mietzinses zu vereinbaren, sondern auch vorweg zu klären, ob sich beide Vertragspartner überhaupt einig sind, was in diesem Mietzins alles inbegriffen sein soll (Pauschalmietzins inklusive „Betriebskosten“ oder Hauptmietzins plus extra verrechnete „Betriebskosten“, Mietzins inklusive oder exklusive Mehrwertsteuer, etc.) und was mit bestimmten Begriffen (welche Kosten sind die „Betriebskosten“) gemeint ist.

Wie werden diese Sätze lesefreundlicher?

  • SprechenSie  Ihre Leser:innen direkt mit Sie an
  • Vermeiden Sie Klammerausdrücke mitten im Satz
  • Verstecken Sie Beispiele nicht in Klammern – sie sind das Salz Ihrer Texte
  • Setzen Sie Anführungszeichen nur sparsam ein
  • Verwenden sie hie und da rhetorische Fragen – sie beleben Ihren Text
  • Und halten Sie die Faustregel ein: 20 Wörter pro Satz – 59 Wörter sind schlicht eine Zumutung für Leser:innen

Eine Alternative

Begriffe wie Mietzins oder Betriebskosten sind im ABGB nicht definiert. Konkretisieren Sie daher diese Begriffe im Vertrag: Welche Positionen enthält der Mietzins? Ist die Mehrwertsteuer inbegriffen? Sind Betriebskosten enthalten und was zählt zu den Betriebskosten?


Von Textoasen und Textwüsten

Textwüsten entstehen, wenn Sie einfach drauflosschreiben. Ohne Textkonzept und ohne Struktur. Fragen wie diese helfen: Wer ist die Zielgruppe? Was muss sie wissen? Welche Bedenken hat sie? Was ist das Wichtigste und soll an den Anfang?

Vergessen Sie auch nicht auf eine passende äußere Struktur. Etwa auf Zwischenüberschriften, Aufzählungen, Icons oder Kästen mit Gesetzestexten und Beispielen. Das alles macht aus Textwüsten wohltuende Textoasen.

Aus den Stornobedingungen einer Versicherung

Eine Leistungspflicht besteht nicht für chronische Leiden und deren Folgen sowie für Krankheiten und Gebrechen, die im letzten Jahr vor Antritt der Reise behandelt worden oder behandlungsbedürftig gewesen sind und deren Folgen sowie für Krankheiten und deren Folgen im Zusammenhang mit bereits vor der Reisebuchung festgestellten Schwangerschaften.

Wie wird der Text übersichtlich?

  • Verwenden Sie Aufzählungen – beenden Sie den Satz aber vor der Aufzählung
  • Beginnen Sie mit einer rhetorischen Frage – Fragen machen neugierig
  • Unterstreichen Sie Textteile nur, wenn sie verlinkt sind

Eine Alternative

Wann haben wir bei Stornierungen keine Versicherungspflicht?

  • Bei chronischen Leiden und deren Folgen
  • Bei Krankheiten und Gebrechen, die im letzten Jahr vor Reiseantritt behandelt worden oder behandlungsbedürftig gewesen sind und deren Folgen
  • Bei Krankheiten und deren Folgen in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, die vor der Reisebuchung festgestellt wurde

Wann gelingt Verständlichkeit?

Man nehme gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.
Arthur Schopenhauer

Aus meiner Erfahrung sind verständliche Rechtexte immer dann geglückt, wenn Texter:innen eng mit Jurist:innen zusammenarbeiten. Mit dem erfreulichen Nebeneffekt: Jede Seite profitiert vom Know-how der anderen – zum Wohle der Leser:innen. Dazu 2 Beispiele.

Dienstvertrag von Licht für die Welt

Der Dienstvertrag ist oft das erste offizielle Dokument, das neue Mitarbeitende erhalten. Meist ist er ein juristischer Standardtext im Hauptwortstil, mit überlangen passiven Sätzen – unübersichtlich und unpersönlich. Ein krasser Widerspruch zu den geschönten Bildern auf Inseraten, Karriereseiten & Co. Das geht auch anders.

Gemeinsam mit Jurist:innen von Licht für die Welt haben wir von wortwelt® einen Dienstvertrag entwickelt, der nicht nur rechtlich wasserdicht ist, sondern auch der Arbeitgebermarke entspricht.

Was macht diesen Dienstvertrag so ansprechend?

  • Mission, Arbeitgeberversprechen und die Werte als Vorwort
  • Übersichtliche Kapitel mit passendem Zitat
  • Wir/Sie statt dem unpersönlichen Arbeitgeber/Arbeitnehmer
  • Einfacher Satzbau
  • Alltagssprache mit möglichst wenig Fachtermini
  • Aktiv statt passiv

Hausordnung bei WIRO

Wenn Sie in einer Mietwohnung leben, kennen Sie sie: die Hausordnung. Mal hängt sie im Stiegenhaus, mal ist sie Bestandteil des Mietvertrags. Aber immer klingen Hausordnung sehr ähnlich – juristisch und ohne Menschen zum Lesen, geschweige zum Einhalten zu motivieren. Anders bei WIRO, einer Wohnungsgesellschaft in Rostock, die auch eine Wohnfühlgesellschaft sein will.

Was macht diese Hausordnung so besonders?

  • Sie ist einfach nett – schon der erste Satz schafft Lesefreude
  • Sie ist übersichtlich mit Icons und Aufzählungen
  • Sie spricht die Bewohner:innen direkt mit Sie an
  • Und sie enthält eine gehörige Portion Humor, ohne an Verbindlichkeit zu verlieren

Was bringt das neue Barrierefreiheitsgesetz?

Schreibe kurz – und sie werden es lesen. Schreibe klar – und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft – und sie werden es im Gedächtnis behalten.
George Bernhard Shaw

Viele Erleichterungen für Menschen mit Behinderung. Und es sind nicht wenige Betroffene: Laut Sozialministerium haben rund 25,3 Prozent Sehprobleme oder sind blind. 16,4 Prozent haben Hörbehinderungen und 33 Prozent haben Schwierigkeiten etwa beim Treppensteigen – um nur einige zu nennen. Darüber hinaus verfügen 17,1 Prozent lediglich über eine niedrige Lesekompetenz – das sind rund 1 Million Menschen in Österreich.

Um diesen Personen den Alltag zu erleichtern, tritt am 28. Juni 2025 das Barrierefreiheitsgesetz  in Kraft. Das Ziel kurzgefasst: Viele Produkte und Dienstleistungen sollen in Zukunft barrierefrei nutzbar sein. Das reicht von Smartphones, Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrkartenautomaten bis hin zu E-Banking, Internet oder Online-Fernsehen.

Auch die Informationen rund um Produkte und Dienstleistungen müssen für Menschen mit Behinderung verständlich sein. Etwa Gebrauchsanweisungen, Produktinformationen, Vertragsbedingungen oder Internet-Seiten.

So konkret das Barrierefreiheitsgesetz in vielen Teilen ist, so wenig ist es allerdings in Sachen Verständlichkeit (sic!). An mehreren Stellen wird eine „verständliche“ Sprache gefordert – jedoch ohne genaue Definition.

Nur bei Banken und Finanzdienstleistern ist das Gesetz konkret: Das Niveau der Informationen darf nicht höher als das Sprachlevel B2 sein. Das ist aus meiner Sicht ein recht hoher Sprachlevel – liegt doch ungefähr die Hälfte der Bevölkerung nach Angaben der Lebenshilfe Österreich unter diesem Level. Aber immerhin ist B2 konkreter, als nur von Verständlichkeit zu sprechen.

Was können Banken und Versicherungen tun?

Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Verträge oder digitalen Inhalte auf B2 Level überprüfen und anpassen. Grob überprüfen können Sie Ihre Texte etwa mit dem Language Level Evaluator. Die Lite-Version kostet rund 60 Euro im Jahr.

Wie funktioniert der Language Level Evaluator? Sie geben einen Text ein und können ihn danach analysieren lassen: nach Sprachniveau der Wörter, Wörter pro Satz und Grammatik. Hier ein Beispiel aus den Geschäftsbedingungen zum Internetbanking einer Bank

Das Sprachniveau der Wörter liegt in diesem Beispiel nur mit ein paar Ausreißern unter dem Niveau B2 – die meisten Wörter haben das Niveau A1 und B1. Die Voraussetzungen des Barrierefreiheitsgesetzes sind erfüllt.

Die Anzahl der Wörter pro Satz allerdings nicht. Es sind Sätze mit bis zu 91 Wörtern enthalten und damit weit über dem Level B2.

Nach der Analyse geht‘s ans Überarbeiten Ihrer Texte. Bedenken Sie dabei, dass Verständlichkeit weit mehr umfasst als objektiv messbare Kriterien. Lassen Sie sich am besten von Textprofis wie die Wortwerker:innen unterstützen (Ende der Werbedurchsage 😉).

Und wenn Sie nicht nur den Vorschriften des Barrierefreiheitsgesetzes Genüge tun wollen, beachten Sie auch Teile der B1-Sprachregeln für bessere Verständlichkeit. Etwa das Verwenden von sehr kurzen Sätzen in Alltagssprache. Oder das Aufteilen von komplexen Infos in kleinere, leicht verständliche Einheiten. Auch die Schriftgröße von mindestens 12 Punkt oder Bilder helfen Menschen mit Behinderungen, Ihre Texte besser lesen und verstehen zu können.

Texte mit rechtlichen Inhalten verständlich formulieren, ist keine leichte Sache. Es verlangt juristische  Kenntnisse, Text-Knowhow und die Bereitschaft, die Perspektive der Lesenden einzunehmen. Die gute Nachricht: Es gibt viele Erfolgsbeispiele. Etwa stellte ein großer Telekommunikationskonzern unlängst fest, dass die neuen, einfacheren Geschäftsbedingungen nicht nur von den Kund:innen gut angenommen wurden. Auch die Rechtsabteilung war begeistert. Denn die Service-Mitarbeitenden verstanden plötzlich den AGB-Text und mussten nicht mehr so oft rückfragen. Eine win-win-Situation.

Irmgard Zirkler, Partnerin bei wortwelt® und identifire® 

Irmgard Zirkler

Sie ist keine Wortklauberin, aber eine hartnäckige Verfechterin geschlechterinklusiver und verständlicher Sprache: geschrieben und gesprochen. Seit vielen Jahren ist sie auch in Sachen Marke unterwegs – und trifft so immer den richtigen Ton. Mehr als 25 Jahre als Kommunikationsfachfrau an vorderster Front machen sie zu einer routinierten Beraterin und vielgebuchten Trainerin. Ihre Spezialität: mehrjährige Sprachprojekte in der Wirtschaft und im öffentlichen Bereich.
 

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